Einführung
Spirostomum, genauer die Art Sp. ambiguum ist den Mikroskopikern, die sich mit sumpfigen Gewässern beschäftigen, sicherlich als "Sumpfwurm" aus dem Buch "Das Leben im Wassertropfen" bekannt. Natürlich handelt es sich nicht um einen Wurm sondern um einen recht großen Einzeller, genauer eine Art aus der Familie der Heterotichida.
Dieser Beitrag kann diskutiert werden im Tümplerforum.
Bestimmung der Art mittels Fluoreszenzfärbung
Spirostomum minus ist, wie der Beiname "minus" andeutet, sozusagen der kleinere Bruder des "Sumpfwurms". Die Ähnlichkeit ist frappierend, die kleinere Größe von maximal 600-700 µm ist daher ein wichtiges Artmerkmal. Spirostomum minus ist eine der Spezies von Ciliaten für die man einen Artenkomplex annimmt. Grund hierfür ist die große morphologische Variabilität innerhalb des Genus Spirostomum minus, welche in der Literatur diskutiert wird (z.B. Foissner, 1992). Leider sind neuerdings einige Arbeiten zu der genetischen Einstufung von Spirostomum minus veröffentlicht, ohne irgendwelche morphologischen Merkmale zu beschreiben oder abzubilden. Daher ist eine solche genetische Klassifizierung dieser "ähnlichen" Arten innerhalb des Komplexes sicherlich so fragwürdig, wie die Benennung als eine "einzelne" Art selbst. Die genetische Ähnlichkeit wird oft anhand eines winzigen DNA Abschnitt der ribosomalen DNA belegt (z.B. Subunit "18S" der rDNA). Gegenüber der Gesamtzahl von Basenpaaren, die verschiedene Arten von Ciliaten besitzen können, nämlich bis zu 100 Milliarden Basenpaare (Prescott, 1994), ist ein solch kleiner Genabschnitt von knapp 3.000 Basenpaaren der ribosomalen DNA nur ein winziger Ausschnitt des gesamten Erbguts. Bestenfalls kann dieser Genabschnitt wohl als Beleg für eine evolutionäre Entwicklung verschiedener Arten dienen. Dies kann eventuell ein weiterer Fund belegen, der einen "Sp. minus" zeigt, welcher farbig erscheint und daher und aufgrund weiterer Merkmale morphologisch von dem hier gezeigten Sp. minus abgegrenzt werden kann (ohne Abb., Publikation in Vorbereitung).
Hier möchte ich nur einige Bilder der etwa 600 µm großen Gesellen einstellen, die ich in einem Sumpf hier in der Region um Hürth im Raum Köln/Bonn gefunden habe. Die Spezies ist morphologisch ganz sicher dem Komplex Sp. minus zuzurechnen.
Dieser Fund ist insofern bemerkenswert, als ich nur ein einzelnes Exemplar fand, das einzeln zwischen sehr vielen(!) Sp. teres herumschwamm, einer ähnlich großen Art, die leicht zu verwechseln ist. Sp. minus hat - im Gegensatz zu Sp. teres - einen moniliformen Macronucleus. Dieser ist bereits mit geringer Vergrößerung als lange Kette von einzelnen Kernfragmenten erkennbar. So habe ich den "Wurm" unter dem Mikroskop mit einem Objektiv 5x einzeln heraus pipettiert und in Kultur gegeben, in der Hoffnung, dass er viele Nachkommen haben werde. Der kleine Kerl hatte offenbar einen ziemlichen Überlebenswillen. Gestern habe ich erste Proben aus der inzwischen dichten Kultur dem Erlenmeyerkolben entnommen und gefärbt. Das Ergebnis ist unten abgebildet. Sp. teres war einfacher zu isolieren, erfreut sich ebenfalls guter Gesundheit und bevölkert eine weitere Kultur.
Eine genaue Beschreibung der Abgrenzung von anderen Spirostomum Arten habe ich eben angelegt: Artenschlüssel von Spirostomum.
Abbildung 1: Das Peristom von Sp. minus ragt etwa bis zur Mitte der Körperlänge. Der moniliforme Macronucleus zeichnet sich, wenn auch nicht sehr deutlich bereits ab. Gut sichtbar ist die adorale Membranellenzone und die orale Bewimperung bis zur Öffnung des Peristoms. Aufnahme im Hellfeld mit optimaler schiefer Beleuchtung.
Abbildung 2: Darstellung des moniliformen Macronucleus (Ma), der zahlreichen Micronuclei (Mi) und der grün gefärbten Phagosome (Ph). Am Rand sichtbar ist die pelliculäre Granula. Siehe auch Beschreibung zu Abb. 3. Fluoreszenzaufnahme mit Doppelfärbung (Ho342 + AO). Zeiss C-Apochromat 40x/1,2 W.
Abbildung 3: Gleiches Individuum wie in Abb 2, Fokuslage jedoch auf die Pellicula. Die in 2-3 Reihen verlaufende, pelliculäre Granula, welche in der Hellfeldaufnahme erkennbar ist, ist eventuell sauer, da eventuell rot gefärbt von Acridinorange. Die Granula verläuft hier in 2-3 Reihen dicht unter der Pellicula. Darunter befindet sich eine weitere Granula, eher statistisch verteilt, welche jedoch ungefärbt erscheint. Sieht man sich beide Fluoreszenzaufnahmen genauer an, so zeichnet sich die ungefärbte, grobe Granula hier durch ihren Linseneffekt und kleine ringförmige Schatten ab gegenüber den darunter liegenden, unscharf abgebildeten Organellen.
Aufnahmedaten
Aufnahmen mit Zeiss Axio Lab.A1 FL-LED, Objektiv Zeiss C-Apochromat 40x/1,2 W, Kondensor 1,2 und Wasserimmersion. Hellfeld: Optimale schiefe Beleuchtung. Fluoreszenzaufnahme: Doppelfärbung mit Ho342 und Acridinorange, Triple-Band-Filtersatz F66-412, UV Anregung 385 nm. Kamera: Canon EOS 77D.
Literatur
Boscaro, V., Carducci, et al., 2014. Focusing on genera to improve species identification: revised systematics of the ciliate Spirostomum. Protist, 165(4), 527-541.
Foissner, W. et al., 1992. Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems, Informationsberichte des Bayer. Landesamts f. Wasserwirtschaft.
Prescott, D. M., 1994. The DNA of ciliated protozoa. Microbiol. Mol. Biol. Rev., 58(2), 233-267.
Artenschlüssel
Boscaro et al. (2014) veröffentlichten zu Spirostomum unlängst eine Revision mit den ihrer Meinung nach heute anerkannten Spirostomum Arten. Demnach werden heute 8 gültige Spirostomum Arten unterschieden. Darunter auch die Artenkomplexe Sp. ambiguum und Sp. minus. Es ist unsicher, ob Sp. minus, obwohl untereinander genetisch ähnlich, (zumindest in dem kleinen rDNA Abschnitt 18S) noch weiter zu differenzieren ist. Morphologische Variationen, die ich bisher fand, sprechen eventuell dafür (in Vorbereitung).
Hinweise zu den Artbeschreibungen
Spirostomum Arten kommen oftmals in Gesellschaft weiterer Arten daher. Ich habe für einzelne Sumpflöcher schon bis zu vier verschiedene morphologisch unterschiedliche Arten in einer einzigen Probe von 150 ml Volumen gefunden. Die genaue Bestimmung der verschiedenen Arten ist daher unerläßlich, ohne Vorkenntnis jedoch nicht möglich. Daher habe ich mich entschlossen diesen Artenschlüssel hier in Anlehnung an eine Übersetzung der Originalarbeit zu veröffentlichen. Spirostomum kann bei guter Ernährung weißlich, im Durchlicht jedoch undurchsichtig wirken. Spirostomum Arten erscheinen im Durchlicht meist hyalin oder grau bis "bräunlich" gefärbt. Es handelt sich hier um einen optischen Effekt, der auch von der Beleuchtung abhängen kann. Eine Art, die ich neuerdings fand, erscheint farbig, nicht braun (Publikation in Vorbereitung). Sp. teres kann gelegentlich mit gefressenen Grünalgen angefüllt grün erscheinen. Es besteht daher eine gewisse Gefahr der Verwechslung mit Sp. semivirescens. Dicht unter der Pellicula befindet sich eine feine Granula in Reihen, die arttypisch ist, darunter befindet sich eine mehr statistisch verteilte gröbere Granula. Man sollte versuchen auf die Oberfläche zu fokussieren, um die Reihen der feinen, pelliculären Granula abzuzählen, siehe auch Abbildung unten. Ich habe die Beschreibungen von Boscaro et al. (2014) hier nach Größe sortiert, um die Bestimmung zu vereinfachen. Große Arten sind meist 1 mm groß (oder größer), kleine Arten nur halb so groß. Generell sollte man bei der Bestimmung der Größe mehrere Exemplare unter dem Mikroskop haben und die größeren zu Rate ziehen, da Zellteilungen gerade bei Spirostomum, die gut im Futter stehen, nicht selten vorkommen. Fehlidentifikation eines gerade geteilten Exemplars mit halber Länge sind eher wahrscheinlich. Ich selbst hielt Teilungen von Sp. ambiguum schon irrtümlich für einen Sp. minus. Auch hier lehrt es erst die Erfahrung. Kopulationen von Spirostomum sind übrigens nicht so selten, wie man glaubt. Gerade in den Habitaten, in denen sie vorkommen, sind Kopulationen nach Rehydrierung eines ausgetrockneten Sumpflochs eher wahrscheinlich. Gleiches gilt für neu angelegte Kulturen innerhalb der ersten Woche.
Beschreibung der Arten
Spirostomum ambiguum (Ehrenberg, 1834) ist sicherlich die bislang größte, bekannte Art, hat typischerweise eine Länge von 1-2 mm (bis 4 mm), und ist kaum zu übersehen. Das Verhältnis Länge:Breite beträgt etwa 9-17. Dieser im "Wassertropfen" als "Sumpfwurm" bezeichnete Einzeller wirbelt im Präparat alles durcheinander. Die Art besitzt einen moniliformen Macronucleus mit 15-25 Noduln. Den Noduln sind meiner Erfahrung nach 1-2 Micronuclei angelagert. Das Peristom misst typisch 70% der Körperlänge. 4-5 Reihen pelliculärer Granula. Es gibt eine gewisse Variabilität in der Körperlänge und es wird angenommen, dass es sich eventuell um einen Artenkomplex handelt. Boscaro (2014) erwähnt eine Farbe. Meiner Erfahrung nach ist Sp. ambiguum meist recht undurchsichtig, erscheint in der Stereolupe weiß, im Durchlicht jedoch eher undurchsichtig bräunlich (ein optischer Effekt, keine Farbe). Gerade geteilte Exemplare können evtl. hyalin wirken und für eine andere Art gehalten werden. Sp. ambiguum wurde von mir bereits in einer gelben Form beobachtet (Stereolupe, nacktes Auge), die sich mit der Jahreszeit in eine weißliche Form verwandelte. Solche weißen oder gelben Exemplare wirken mit Mikroskopobjektiven im Hellfeld oft "bräunlich" gefärbt.
Spirostomum subtilis sp. n. (Boscaro et al. 2014): Länge um 700-1000 µm; Verhältnis Länge:Breite beträgt 14-24. Sp. subtilis besitzt ebenfalls einen moniliformen Macronucleus mit 15-24 Noduln. Das Peristom misst typisch nur 50% der Körperlänge. Die Art hat eine auffällig große kontraktile Vakuole (bis 1/3 der Körperlänge). Es bleibt unklar, ob es sich bei diesen beiden Exemplaren, einer früheren Beobachtung von mir, um Sp. subtilis(?) handeln kann. Sie konnten damals nicht in Kultur genommen und länger beobachtet werden.
Spirostomum semivirescens (Perty, 1852): Länge zwischen 600-2.000 µm meist um 1,2 mm. Die bislang einzige bekannte Art, welche Zoochlorellen besitzt. Moniliformer Macronucleus mit etwa 12 Noduln. Achtung Verwechslungsgefahr: Manchmal fressen andere Spirostomum Arten ebenfalls kleine Grünalgen, z.B. Sp. teres (siehe unten).
Die folgenden, kleineren Arten besitzen eine ähnliche Größe, besondere Aufmerksamkeit gilt jedoch der Form des Zellkerns, der Granula und dem Hinterende.
Spirostomum minus (Roux, 1901) bezeichnet einen Artenkomplex mit gewisserer Formvariabilität. Körperlänge um 600 µm. Arten, die diesem Komplex genetisch zugeordnet werden, haben ebenfalls einen moniliformen Zellkern mit 5-25 Noduln. Nach meiner Beobachtung besteht bei einer der Varianten, die ich beobachtete, eine gewisse Neigung, dass die Anzahl der Kernpakete bei Quetschpräparation abnehmen kann. Man beobachtet dann eine Verlagerung der DNA Pakete innerhalb der Kernmembran, so, als würde man eine Wurstkette von einem Ende her pressen. Micronuclei werden als länglich beschrieben (1,5-3,5 µm). Das Peristom ragt etwa bis zur Hälfte der Körperlänge, misst also typisch 50% der Körperlänge. Pelliculäre Granula mit 2-4 Reihen. Eine Form, die ich fand, hat eine über die Körperlänge variable Anzahl der gestreiften Granula, nämlich in der Mitte 4 Reihen hinten 3 Reihen (in Vorbereitung). Sp. minuserscheint meiner Erfahrung nach meist hyalin (durchsichtig). Einige Beschreibungen von Gensequenzen wurden leider ohne morphologische Beschreibung veröffentlicht, was die Gensequenzierung eher fragwürdig erscheinen lässt.
Spirostomum teres (Cláparéde & Lachmann, 1858-1859): Länge um 400-600 µm. Diese Art besitzt einen ovoiden, kompakten Macronucleus dem typischerweise 2-3 Mi angelagert sind. Auf ersten Blick ist Sp. teres mit Sp. minus aufgrund der ähnlichen Größe zu verwechseln. Der ovoide Macronucleus ist im Hellfeld jedoch bereits deutlich als "Blase", etwa in der Körpermitte zu erkennen. Sp. teres wird von Boscaro (2014) als bräunlich beschrieben. Die Exemplare, die ich bislang an verschiedenen Fundstellen fand, waren jedoch eher hyalin (weiß, durchsichtig).
Spirostomum caudatum ((Müller, 1786; Delphy, 1939). Körperlänge bis 700 µm, meist 200-400 µm. Die Art besitzt einen ovoiden Macronucleus. Im Gegensatz zu Sp. teres besitzt diese Art hat einen schlankes Hinterende. Daher der Beiname caudatus, "geschwänzt". Ich habe die Art mit eigenen Augen noch nicht gesehen, sie ist jedoch im Ciliatenatlas abgebildet (Foissner et al. 1991).
Spirostomum dharwarensis (Desai, 1966): Länge um 400 µm. Die Art besitzt einen filiformen Macronucleus. Diese Art wurde bislang für Indien und Afrika beschrieben. Es wäre interessant, ob man sie auch in Europa findet.
Spirostomum yagiui (Shigenaka, 1959): Länge um 400 µm. Die Art besitzt einen langgezogenen Macronucleus. Es handelt sich um eine Brackwasserform (Mittelmeer Inseln, Nordeuropa, Russland).